Zeit für Zorn: Jutta Ditfurth

Geboren wurde die Politikerin und Publizistin 1951 als Jutta Gerta Armgard von Ditfurth in Würzburg. Sie ist die Tochter des als Fernsehmoderator und populärwissenschaftlicher Schriftsteller bekannten und mehrfach (u.a. Goldene Kamera, Grimme-Preis) ausgezeichneten Hoimar von Ditfurth.
1978 versuchte sie erfolglos ihren Namen ändern zu lassen und auch die Aufnahme in den Adelsverband lehnte sie im Alter von 18 Jahren ab, da sie elitäres Denken abstößt.
Sie studierte Soziologie, Politik, Kunstgeschichte, Wirtschaftsgeschichte und Philosophie in Heidelberg, Freiburg, Glasgow und Detroit und machte 1977 ihren Abschluss als Diplomsoziologin.
Als Mitbegründerin der Partei Die Grünen und als Protagonistin des linken Flügels, wurde sie in den 80er-Jahren bekannt. 1991 trat die, laut Eigenaussage Radikalökologin und Feministin, aus Protest aus der Partei aus. Die Grünen waren ihr inzwischen zu angepasst.
Mittlerweile kennt man sie als akribische Buchautorin, scharfzüngig und kenntnisreich. Auch als Teilnehmerin in Talkrunden ist sie gefragt. Die Frau ist smart, sympathisch und schlagfertig; ideale Voraussetzungen sowohl für ein XAVER-Interview, als auch für die Veranstaltung Ende September im Kulturzentrum Kloster in Herbrechtingen, wo sie ihr neues Buch vorstellen wird.

XAVER: Frau Ditfurth, Sie sind dieser Tage in den USA unterwegs. Das Land macht bei der Einreise keinen allzu gastfreundlichen Eindruck. Das Einreiseprozedere ist doch eine recht unwürdige Sache, oder?

Jutta Ditfurth: Die Abgabe von biometrischen Daten und Fingerabdrücken ist entwürdigend und dreht die Beweislast um. Zugunsten eines immer autoritärer werdenden Staates; weg von dem was mal Rechtsstaat genannt wurde. Deutschland schlägt diese Richtung ebenfalls ein.

X: Wenn das jetzt nicht zu privat ist: Machen Sie Urlaub in den USA und/oder besuchen Sie Freunde? Oder arbeiten Sie gar?

JD: Es handelt sich um eine abenteuerliche Arbeitsreise von Ohio im Norden der USA nach Alabama im Süden. Hier befinden sich die Archive, die ich brauche und dort leben die Leute, mit denen ich sprechen will.
Ich recherchiere für ein Buch. Die Arbeit dafür ist kompliziert und sehr aufwändig, aber das Ausmaß der Hilfsbereitschaft ist hier überwältigend. Wir sind im Moment, Mitte August, in Missouri. Das ist eine ländliche Provinz, die gebeutelt ist von einem extrem heißen Sommer. Auf den Feldern verbrennt das Korn und die Wintersaat musste aus Futtermangel an das Vieh verfüttert werden. Trotzdem helfen die Menschen uns, wo sie können.

X: Im September erscheint Ihr neues Buch „Zeit des Zorns. Warum wir uns vom Kapitalismus befreien müssen“. Vor fast vier Jahren erschien ein Buch von Ihnen mit ähnlichem Titel. Gibt es also auch inhaltliche Überschneidungen?

JD: Die erste Ausgabe von „Zeit des Zorns“ habe ich 2008 geschrieben, als die Weltwirtschaftskrise gerade begonnen hatte und weder Frau Merkel noch Herr Ackermann das Wort Rezession in den Mund nehmen wollten. Bedenken Sie, was inzwischen alles passiert ist! Es kam der „arabische Frühling“, dem jetzt sein Herbst folgte und Griechenland liegt am Boden. Jetzt sind wir vier Krisenjahre weiter und ich habe alles überarbeitet, große Teile sind sogar ganz neu.

X: Was hat Sie veranlasst das Buch zu überarbeiten und was sind die Hauptthemen in den neuen Segmenten?

JD: Diese Krise verändert die Welt. Deutschland ist massiv mitverantwortlich für die Armut in anderen Ländern.
Ein großer Teil der unbezahlten Rechnungen Griechenlands bestand z.B. aus Rechnungen von deutschen Rüstungskonzernen, die mit unseren Steuergeldern subventioniert werden. Wozu braucht Griechenland all die U-Boote, Panzer und Maschinengewehre? Wer hat sie bei wem bestellt? Etwa die griechische Studentin, die griechische Arbeiterin oder der Handwerker? Oder vielleicht der albanische Migrant? Aber die Schulden zahlen jetzt alle. Zum Beispiel mit ihrer nicht mehr vorhandenen Gesundheitsversorgung.
Ich habe tatsächlich alles überarbeitet. Es ist in großen Teilen ein völlig neues Buch, das auch noch stärker die Interessen und Geschäfte deutschen Kapitals in aller Welt beleuchtet.

X: Die Piraten wirbeln dieser Tage viel Staub auf und erreichen wohl auch viele der sonst eher Politikverdrossenen. Die Piraten werden oft mit den Grünen in ihren Anfangstagen verglichen. Sehen Sie da auch Gemeinsamkeiten?

JD: Nein. Viele der einflussreichen Grünen hatten 1980 lange Jahre Erfahrung in linken politischen Bewegungen. Nichts davon findet man bei den Piraten 2010 wieder. Ich halte sie für maßlos überschätzt.
Die Piratenfunktionäre nennen ihren Anpassungsprozess „Lernprozess“. Sie kämpfen z.B. nicht gegen das private Eigentum an industriellen Produktionsmitteln, sondern nur für die sogenannte Freiheit, sich das geistige Eigentum von Künstlern unter den Nagel zu reißen.
Die Piraten der Geschichte waren aller Sozialromantik und Johnny Depp zum Trotz niemals wirklich freie Rebellen. Meist waren sie irreguläre militärische Truppen der einen oder anderen imperialen Großmacht.
Die Piratenpartei wird sich als „Systemadministrator“ der „herrschenden Verhältnisse“ nützlich machen. Es besteht leider kein Grund für andere Hoffnungen.

X: Sarah Wagenknecht hat in der Süddeutschen Zeitung einmal gesagt „Aber wirkliche Demokratie gibt es im Kapitalismus so wenig wie in der DDR“ und Malcolm X geht sogar so weit zu sagen „Ihr könnt keinen Kapitalismus haben ohne Rassismus“. Was wäre denn die menschlichere Alternative zum Kapitalismus?

JD: Ich stimme Malcolm X zu. Wie alt ist Wagenknechts Zitat? Zurzeit schwärmt sie für Ludwig Erhard und den angeblich ach so menschlichen rheinischen Kapitalismus, den wir in der Bundesrepublik bis 1990 gehabt haben sollen. Dafür lässt sie sich von Frank Schirrmacher (Mitherausgeber der FAZ) und dem Rechtsaußen der CSU Peter Gauweiler feiern. Das Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“ aber hat seine Wurzeln in Thinkthanks der Nazis, wie ich in meinem Buch belege.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, als selbst in der CDU Forderungen nach Vergesellschaftung von Teilen der Großindustrie wie etwa im „Ahlener Programm“ (1947) laut wurden, versuchte man diesen Linkstrend auszuhebeln. Der Kalte Krieg stand auf dem Programm und die Religion des Antikommunismus.

X: Sie haben in Büchern und Interviews ausführlich mit ihrer ehemaligen Partei abgerechnet. In Baden-Württemberg regieren die Grünen jetzt seit Monaten. Machen sie das besser als die davor sehr lange regierende CDU?

JD: Nein. Sie sind nur die modernisierte Version.

X: Einer ihrer Hauptvorwürfe gegenüber den Grünen ist, dass sie von einer pazifistischen zu einer Kriegspartei geworden sei. Ist regieren mit einem Koalitionspartner nicht immer ein schmaler Grat aus Kompromissen, Haushaltsdiktaten und aufrechtem Gang?

JD: Mich interessieren die täglichen Querelen und Gemeinheiten im Umgang der einen bürgerlichen Koalitionspartei mit einer anderen bürgerlichen Partei nicht die Bohne.
Wer Freiheit auf Basis sozialer Gleichheit will, den interessiert weder Regierungsbeteiligung noch Koalitionsscheiß. Nur mit wem man den Kapitalismus abschaffen kann. Man sucht also gezielt außerhalb etablierter und autoritärer Strukturen nach Gleichgesinnten, baut Brücken, schließt Bündnisse und lernt. Plant Aktionen, streitet und organisiert sich, unabhängig von Staat und Kapital.
Bei der Frage nach der notwendigen Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, denke ich in Kategorien. Soziale Gegenmacht, Protest und Widerstandsbewegung. Nicht aber an bürgerliche Parteien, Regierungen und Staatsapparate.
Niemals in der Geschichte hat sich die radikale Humanisierung einer Gesellschaft anders bewerkstelligen lassen.

X: Auch der Bundesvorsitzende Cem Özdemir bekommt von Ihnen schlechte Noten. Ihm werfen Sie vor, er laufe „an der Leine der USA“. Worin äußert sich das?

JD: Ich benote nicht, ich analysiere. Ich halte Özdemir für überangepasst und inhaltlich leer. Er macht seit seinem Jahr in den USA nichts, was der USA außenpolitisch missfallen könnte und greift nur ein, um Kritik zu mildern. Die Details stehen ja in meinem Buch „Krieg, Atom, Armut. Die Grünen, was sie reden, was sie tun“ (Rotbuch 2011).

X: Gibt es also Ihrer Meinung nach bei Wahlen auf Bundesebene nur die Wahl zwischen Not oder Übel?

JD: Sie haben Recht. Für Menschen, die die Ausbeutung des Menschen beenden und die Zerstörung der Natur aufhalten wollen, ist das Parteienangebot bei Wahlen meist eine Beleidigung.

X: Vor über drei Jahren erschien Ihre fast 500 Seiten starke Biografie zu Ulrike Meinhof. Das ist ein unglaublich akribisches Werk. Wie lange haben Sie dafür recherchiert?

JD: Sechs Jahre.
X: Sie sprechen es nirgends im Buch de facto aus, aber gehe ich recht in der Annahme, dass Sie nicht an einen Selbstmord von Frau Meinhof glauben?

JD: Ich begründe in meinem Buch, warum ich nicht weiß, ob es Selbstmord oder Mord war. Deshalb benenne ich, was für die eine oder andere These sprechen mag und lasse die Antwort offen.
Aber nach diesen jahrelangen folterähnlichen Haftbedingungen von Ulrike Meinhof wäre ein Selbstmord einer Gefangenen in der Obhut des Staates, der sie so malträtiert, furchtbar genug. Mein Buch hat alle bisherigen juristischen Angriffe ohne Veränderungen überstanden.

X: Jemand der sich seit Jahren auch sehr intensiv der Materie RAF widmet ist Stefan Aust. Wie stehen Sie zu seiner Arbeit?

JD: Er schlampt, ist oberflächlich und interessengeleitet, denn seine Darstellung allein von Ulrike Meinhof, hält an vielen Stellen keiner faktischen Prüfung stand.
X: Und was halten Sie von Uli Edels Kinofilm „Der Baader-Meinhof-Komplex“?

JD: Die Basis war ja leider Austs Buch. Der Film ist, vor allem auch was Ulrike Meinhof betrifft, von der ersten Sekunde an eine extreme Manipulation. Aber gegen den von mehreren ARD-Sendeanstalten mitfinanzierten Film kam keine kritische Stimme an. Ich hätte den Film gern mit meinen Beweisen öffentlich zerlegt.

X: 1987 waren Sie einmal zu Gast bei „Wetten dass…?“. Wissen Sie noch, wer damals mit Ihnen auf der Couch saß und würden Sie der Einladung von Herrn Lanz ebenfalls folgen?

JD: Hmm...Karl Dall und Jane Fonda, an andere erinnere ich mich nicht mehr. Ob ich die Einladung annähme, hinge vom Thema und den Gästen ab.

X: Sie sind eine sehr engagierte und schlaue Person. Gibt es aber auch bei Ihnen schwache Momente, etwas „Sündiges“, das Sie aus rationellen Gründen eher lassen sollten?

JD: Glücklicherweise bin ich nicht in der Kirche und übersetze „Sünde“ frei mit Genuss. Schwarze Bio-Schokolade und uralter Malt-Whisky zum Beispiel.

X: Woran arbeiten Sie dieser Tage, was sind die Pläne für die nähere Zukunft?

JD: Ich arbeite an einem Buch, anschließend dann am nächsten.

X: Vielen Dank für das Interview und bis bald in Herbrechtingen!


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