Krimsekt, Gelbauge und Blödeleien: Michael Gaedt

Michael Gaedt kennt jeder. Also fast jeder zumindest, denn er war zum einen ein wesentlicher Teil des Anarcho-Ensembles Die Kleine Tierschau, deren Hits über unter anderem Gabi, Feinripp und Campari in seiner reinsten Form noch so manche im Ohr haben, und zum anderen ist er elementarer Teil der Stuttgarter Kulturszene. Und mittlerweile auch Musicaldarsteller, Schauspieler (als Schrotti beliebtester Charakter bei SOKO Stuttgart!) und Opernregisseur! Dazu aber dann gleich mehr. Bei der Recherche im Vorfeld des Interviews bin ich über so allerlei mehr oder weniger kreative beziehungsweise treffende Bezeichnungen für Michael Gaedt gestolpert. Da war vom „bunten Hund“, „Hans Dampf in allen Gassen“, „schwäbischen Entertainer“, „Spaßvogel“, „Gelbauge“ und so weiter die Rede. Am passendsten erscheint mir aber – erst recht nach unserer gemeinsamen „Porsche-Tour“ durch Aalen und dem folgenden Interview – die Bezeichnung „Kreativ-Vulkan“. In dem kurzen Gespräch haben sich links und rechts vom immer mal wieder auch kurz aus den Augen verlorenen roten Gesprächsfaden Themen aufgetan, über die man ganze Sonderhefte mit ihm machen könnte („Die Medienwelt“, „Fahrzeuge und Maschinen“, „Regisseure und andere Kulturschaffende“, „Eine Seefahrt die ist lustig“, „Lehren und Lernen“ und und und). Ganz aktuell ist Gaedt auch zusammen mit Otto Kuhnle und Roland Baisch Teil des Trios KGB. Als gebürtiger Gmünder führt ihn deren erste Tour natürlich auch auf die Ostalb. Um im Vorfeld bereits mal das Terrain zu sondieren, reiste Gaedt mit dem Porsche an (der natürlich farblich auf Pelz und Brille abgestimmt war) und ließ sich vom Redakteur laut singend und gitarrierend durch Aalen chauffieren.

XAVER: KGB, ursprünglich das Komitee für Staatssicherheit, jetzt aber Kuhnle, Gaedt und Baisch – wie kam’s denn überhaupt dazu?

Michael Gaedt: Los ging’s vor einem Jahr. Aber wir sind ja alle auch ohne KGB sehr beschäftigt und deswegen geben wir uns diese Lässigkeit. Und es gibt ja auch viele Gründe, warum man lässig sein sollte – mit 61 sollte man einfach nicht mehr drücken oder stressen. Und es ist noch massig Druck vorhanden, wenn man uns drei auf die Bühne lässt. Jeder von uns drei hat circa 4000 Auftritte hinter sich, jeder hat ein Hörgerät und jeder hat für sich an sich alles geschafft und gesehen. Und jetzt können wir uns ganz unverkrampft zusammentun. Und in den letzten 35, 40 Jahren sind wir alle mehr oder weniger nah umeinander rumgekreist. Mit dem Otto Kuhnle, also mit dem K vom KGB, mit dem war ich in Freiburg auf der Berufsschule und habe dort meine ersten Auftritte mit dem Otto gemacht.
X: Aber Moment, geboren in Schwäbisch Gmünd und dann in Freiburg auf die Berufsschule?

MG: Ja, ich habe Steinmetz gelernt und war in Freiburg auf der Berufsschule, nachdem ich auf einem Segelboot Schiffsjunge war. Und zwar an der Atlantikküste, Intracoastal Waterway, Palm Beach und Cape Cod und alles … also im Prinzip dort, wo Donald Trump jetzt wohnt. Da war’s mir schon vor 40 Jahren zu langweilig (lacht)!
X: Ich habe es aber immer noch nicht verstanden: Gmünd, Steinmetz, Schiffsjunge?

MG: Schiffsjunge kam vor der Steinmetzgeschichte!
X: Ah, o. k.

MG: Das ging ja schon zu meiner Schulzeit los. Die war so, dass ich mit Sitzenbleiben und allem Möglichen am Schluss fünf Jahre älter war, als meine Klassenkameraden. Also ich war an sich fünf Mal länger in der Schule!
X: … also auch fünf Mal so schlau!?

MG: (lacht) Noi, aber fünf Mal so faul! Und komischerweise mag ich ja sogar Lehrer, also echt jetzt. Und irgendwo habe ich ja bis heute Lehrer, denn alles was ich bis heute bin oder versuche, hinzubekommen, das habe ich von Lehrern, von wem auch sonst. Also bis auf einen Teil der künstlerischen Arbeit mit der Kleinen Tierschau, da war nämlich vor allem das Publikum unser Regisseur. Mit dem hatten wir keine Erfahrungen und haben dann auch nicht zu sehr auf es gehört. Ich kann also gut mit Lehrern und ich gebe sogar selbst für mein Leben gern Unterricht. Nur ist das halt Quatsch, weil ich ja gar keine Zeit dafür habe. Wenn’s bei mir um Unterricht geht, dann muss ich ihn nehmen und sollte ihn nicht geben! Das ist eigentlich schade. Aber da rödelt man jahrelang rum und es macht Bang-Bang-Bang und du hast eine Bombenkarriere und erst recht keine Zeit mehr, um Unterricht zu nehmen. Aber, zurück zu KGB! Das sind also seit über 40 Jahren gewachsene Freundschaften und wir sind in dieses KGB-Ding irgendwie so reingepurzelt. Haben dann aber festgestellt, dass unsere Initialen eben KGB ergeben und haben uns mit einem großen Vergnügen in dieses ganze Russland-Thema reingekniet. Das ist aber mehr so der Ausgangspunkt, das reißen wir nur an. Da sind wir ganz am Ausgangspunkt unserer Reise durch die unendlichen Weiten der russischen Landschaft und in die unendliche Tiefe der russischen Seele. Und wir baden musikalisch in der Thematik, weil wir eben versuchen, von den Harmonien und der Art der Musik das alles so ein bisschen „Bolschewiki“ zu machen.
X: Ist gar nicht so leicht zu greifen.

MG: Ja, man weiß gar nicht so genau, wie man es beschreiben soll. Es gibt ganz viele Künstler, die sich an so einem Format wie dem Ratpack abarbeiten. Und da hilft es auch gar nix, wenn das so Megastars wie Mittermeier, Naidoo und Garvey sind; das hilft alles gar nichts! Das ist Käse, und zwar, weil die nicht an den Kern gehen. Die imitieren nur das Äußere und vergessen die Substanz, das Innere. Und das ist unter anderem eben, dass man über 60 sein muss, ein Hörgerät haben und man muss irgendwie alles gesehen und erlebt haben …
X: … und es vielleicht auch gar nicht mehr nötig haben? Es keinem mehr beweisen müssen?

MG: Genau! Und davon lebt die ganze Ratpack-Idee, dass die Gesellen eben einfach unfassbar lässig sind. Und wir als KGB sind auch auf dem Weg dahin. Und das ist auch eine reizvolle Reise. Man hat drei erwachsene Männer, die allesamt wissen, wie eine Show funktioniert. Wir müssen halt nur die anderen auch mal machen lassen! Wir haben drei Showmaster und eine Show.
X: Aber gab es jemanden, der euch zusammengebracht hat, der also die auslösende Idee hatte?

MG: Im Prinzip sind wir beim Theaterhaus und Werner Schretzmeier so was von offene Türen eingerannt, das gibt’s an sich gar nicht! Ganz verrückt war aber auch der Anteil unseres Publikums, völlig crazy. Wir haben uns in der Sommerpause des Theaterhauses dort in einem Raum eingenistet und einfach mal losgelegt. Und immer nach einer Woche haben wir dann so eine Art Werkstattbericht vor Publikum abgeliefert. Also nur so gesagt: „Ist quasi ’ne öffentliche Probe, wer Lust hat, kann kommen!“ – und das war jedes Mal ausverkauft! Völlig irre. Man hat also schnell gemerkt, dass die Freude des Publikums und auch eine gewisse Sehnsucht da war, zu sehen, wie sich das alles weiterentwickelt. Von diesen Entwicklungen können wir jetzt berichten und jetzt geht’s auch zum ersten Mal auf Tour. Wir haben so für acht oder zehn Tage Hallen gebucht und jetzt schauen wir mal.
X: Sind denn auch wieder Maschinen mit im Programm?

MG: Ja, auf jeden Fall. Das gehört zu mir und vielleicht geht das auch noch auf den Steinmetz zurück, ich sehe das wirklich wie so eine Art Bildhauertätigkeit.

X: Im Sommer hast du ja auch Oper gemacht.

MG: Genau, das war bei den Schlossfestspielen Zwingenberg. Dieses Jahr habe ich „Die Entführung aus dem Serail“ und letztes Jahr „Der Freischütz“ gemacht. Und neben der Regie habe ich für beide Produktionen auch große Requisiten/Maschinen und das Bühnenbild gemacht. Es gab also einen singenden und tanzenden Dönerspieß, der von riesigen Dönermessern gejagt wird. Beim Mozart wurde aus der Dönerbude entführt, es gab also auch keinen Serail oder Harem, es spielte stattdessen in einer Diskothek und es ging um ein Sänger-Casting. Und mal wieder zurück zum Thema (lacht), diese ganzen großen Maschinen baue ich ja auch. Ich bin auch immer am bauen … Auf dem Weg nach Aalen habe ich hinter Lorch bei so einem Motorrad-Kruschtelladen angehalten und geschaut, ob da alte Mofas rumstehen. Ich bin da auch echt am Puls der Zeit, ich habe nämlich zwei motorisierte Bühnenrequisiten auf Elektroantrieb umgebaut – goes Tesla quasi!
X: Wie darf ich mir das heimische Anwesen vorstellen? Das klingt für mich nach mindestens einer sehr großen Scheune.

MG: Zu Tierschau-Zeiten war die Fläche dreimal so groß. Und nachdem wir jetzt in alle Winde zerstreut sind, ist es halt so groß, dass ich meiner Arbeit nachgehen kann. Es ist also immer noch eine sehr große Scheune, die bis oben hin voll ist!
X: Alternativangebote zum Porsche waren von dir heute der Cadillac Eldorado und ein russischer Militärlaster.

MG: Nein, nein, vom Militär ist der nicht! Das ist so einer mit Ladebordwand und wurde mal von Gaz, einem großen, russischen Nutzfahrzeug-Produzenten, hergestellt. Davon haben die Massen nach China verkauft und von dort schwappt er jetzt als erster Elektro-LKW wieder zurück! Aber meiner stinkt und rattert noch!

X: Auf Bildern einer KGB-Show habe ich gesehen, dass ihr euer Publikum ja betäubt: Große Tabletts mit Schnapsgläsern und riesige Wodkakanister habe ich da gesehen. Wo gibt’s den Wodka in Kanistern?

MG: Ach, das ist ’ne ganz einfach Übung, den kauft man im Großmarkt im Kanister. Aber auch wir mussten uns da viel russisches Brauchtum aneignen. Aber ich glaube insgesamt: Gar kein Alkohol ist auch keine Lösung! Wir haben aber keine Wodkarutsche und das nimmt auch keine Après-Ski-Ausmaße an. Wir stoßen einfach so ein bisschen an. In Russland wird ja auch viel mit Industrie-Alkohol gearbeitet.

X: Wir hatten es vorhin davon, dass ihr mit dem Programm ja auch lange, viel und quasi am offenen Herzen – also vor Publikum – experimentiert habt. Gibt’s denn mittlerweile ein fixes Set, oder ist da immer noch viel am Fließen?

MG: Also wir haben definitiv ein festes Programm – an das wir uns nur nicht immer halten können! Es ist so ein bisschen wie eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn. Man weiß nicht so recht, was einen unterwegs erwartet, aber am Schluss landet man in Wladiwostok. Ich unterziehe mich dabei einer strengen Wodka-Diät – verlieren sie drei Tage innerhalb von nur einer Woche! Das ist halt auch ein Aspekt der künstlerischen Arbeit.
X: Man muss Opfer bringen!

MG: Ja, und mir sind besoffene Künstler auch immer schon lieber gewesen, als ein betrunkenes Publikum!
X: Es hilft immer, wenn alle ein ähnliches Level haben, oder?

MG: (lacht) Genau!


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