Kreuzberger Bakterien ohne Grenzen: Kool Savas

Kool Savas, eigentlich Savaş Yurderi, ist ein 1975 in Aachen geborener Rapper. Seit Mitte der 90er-Jahre ist er einer der einflussreichsten und erfolgreichsten Akteure der Berliner Szene. Nach der pubertären Frühphase, in der er auch viel mit bewusster Provokation gearbeitet hat, ist er heute ein gereifter Erwachsener, dem auf seinem Terrain so leicht niemand etwas vormacht. Im Januar und Februar ist er auf ausgedehnter Tour und obwohl er kurz vor Weihnachten noch Urlaub macht, hat er dem XAVER Zeit für ein Interview eingeräumt. Er zeigt sich sehr gut gelaunt, völlig frei von Allüren und sympathisch; erzählt auch ein paar nicht so vorteilhafte Sachen und ist einfach ein guter Gesprächspartner.

XAVER: Savas, Montag startest Du in den Urlaub, wohin geht es dieses Mal?

Kool Savas: Wir fliegen nach Kitzbühl. Meine Frau und ich haben bald Hochzeitstag und wir wollten vor der Tour im Januar/Februar noch ganz kurz ein paar Tage für uns haben; wir sind auch nur vier Tage weg. Ich mag ja Winter und Schnee und da geht es jetzt auch weniger um den „Kitzbühl-Bonzen-Faktor“ sondern eher darum, dass es da eben gemütlich ist, für alles gesorgt wird und dass da eben die Berge sind. Wir haben kein Interesse an der High Society da, es gefällt uns einfach sehr gut.
X: Wenn Dir Winter und Schnee so gefallen, machst Du dann auch Wintersport?

KS: Ich hab’s probiert. Ich war mal eine Woche in Arosa, hatte da eine Show und im Rahmen dessen hatte man uns da so eine Woche Urlaub geschenkt. Snowboard war direkt gar nicht mein Ding. Und bei Skiern hatte ich einen Freund, der meinte, er kann mir das in fünf Minuten erklären – und ich hab mich dann übelst krass hingepackt, mir glücklicherweise nichts gebrochen aber eben gemerkt, dass es nichts für mich ist.
X: Bist Du so ein ultra organisierter Typ, ist also alles schon gepackt und steht bereit zum Einladen, oder packst Du erst spontan am Montagmorgen?

KS: Am Abend davor – wenn überhaupt. Ich überlass da aber auch viel meiner Frau, dann kann die das so machen, wie sie will. Aber ansonsten; ich bin sowas von nicht organisiert! Ich war grad einen Monat in LA (Los Angeles, Anmerk. d. Verf.), mein Visum hab ich natürlich erst am Tag vor dem Abflug bekommen, aber ich hab auch meine Sachen erst ein paar Stunden vor dem Abflug gepackt. Ich mach mich da relativ locker, mir ist das ziemlich wurst.

X: Auf dem Cover Deines aktuellen Mixtape-Albums “Essahdamus”, bist das Du mit Deiner Mutter nach der Trennung von Deinem Vater, der aus politischen Gründen ins Gefängnis musste, auf dem Weg nach Aachen?

KS: Hey genau, das ist richtig!
X: Ist Reisen für Dich also etwas Positives, oder ist da auch immer die Sorge, was alles schief gehen kann?

KS: Ich bin da mega zwiegespalten. Zuallererst kommt das tatsächlich auf meine Laune an. Kann sein, dass ich voll der Schwarzmaler bin und denke, dass alles scheiße wird. In der näheren Umgebung, also Deutschland/Österreich/Schweiz, da macht es mir persönlich am meisten Spaß. Einfach wegen der Rückendeckung, weil ich also weiß, dass ich in ein, zwei Stunden zu Hause sein kann und da Zugriff auf die wichtigen Sachen habe: ein gutes Krankenhaus, gute, deutsche Ärzte usw.. Ich bin tatsächlich kein Fan von langen Flügen, mehrmals Umsteigen usw., das ist alles mit Stress verbunden und nervt mich einfach. Aber ich reise ja schon berufsbedingt übertrieben viel. Wenn wir losfahren auf Tour, das finde ich schon immer sehr gemütlich. Wenn man im Tourbus ankommt und seine Taschen unterbringt, das ist schon übergeil.
X: Chris Rea, der ja auch so ein Autonarr ist wie Du, hat mir im Interview mal erzählt, dass er auf Deutschlandtour nie im Bus mit der Band mitfährt wie sonst immer. Der lässt sich dann von Stuttgarter Autoherstellern schicke Fahrzeuge zur Verfügung stellen und genießt die Geschwindigkeit auf „The German Autobahn“…

KS: Das würde ich an seiner Stelle wohl genauso machen. Wenn man in Amerika oder sonst wo lebt, kommen die Autos ja nie richtig zum Einsatz. Ob nun wegen Tempolimit oder weil die Straßen so schlecht sind. Wenn die Leute noch nie 240, 260 km/h gefahren sind, und nicht wissen, wie sich so etwas anfühlt… ich würde das ganz genauso machen!

X: In einem Clip, den ich gesehen habe, sagst Du, dass Du die Texte von dem neuen Album noch gar nicht auswendig kannst. Wieviel Handwerk und Training steckt denn in Deiner Arbeit. Als Schulkind lernt man ja noch relativ leicht auswendig, als Erwachsener hat man es da nicht so leicht… Trainierst Du jeden Tag? Benutzt Du spezielle Gedächtnistraining-Techniken?

KS: Zuerst einmal möchte ich sagen, dass Musik an sich, auch wenn es zum größten Teil Entertainment ist, egal was man sagt, eben auch Handwerk ist. Ich find es auch voll schwer zu sagen, ob das nun Handwerk oder Kunst ist. Unterm Strich ist für mich erst mal alles Handwerk. Ich denke Musik, Kunst und Handwerk, das geht alles Hand in Hand; und ich habe das auch immer als Handwerk gesehen. Wenn man eine völlig uninteressante Person ist, dann macht man auch uninteressante Kunst. Wenn man aber etwas Besonderes oder Ungewöhnliches einbringt, dann wird das auch alles interessanter. Um aber auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Ich glaube schon, dass man da mit der Zeit Mechanismen entwickelt, die einem selbst aber vielleicht gar nicht so bewusst sind. Bei mir ist es so, dass immer hinten was abfällt. Ich glaub ich hab in meinem Hirn so einen Speicher für 1000, oder meinetwegen 500 Texte, und immer, wenn etwas Neues dazu kommt, fällt etwas Altes raus. Wenn ich manche alten Sachen lange nicht mehr mache, dann ist das auch schnell weg – man kommt dann aber auch relativ schnell wieder rein.

X: Vor kurzem wurde der Track „Masafaka“ von Sido veröffentlicht auf dem Du ein Feature hast. In dem Track geht es darum, dass sich jetzt auch der Mainstream mit HipHop beschäftigt, da aber oft das Wissen und der Hintergrund fehlt. Ärgerst Du Dich da wirklich regelmäßig drüber, oder ist das nicht auch ein gutes Zeichen? Immerhin ist HipHop längst Mainstream und hat eben somit auch ein entsprechendes Umsatzpotential…

KS: So habe ich, und ich glaube so hat auch Sido das nicht gemeint, das Problem ist nicht der Mainstream. Es geht eher um die Art und Weise. Ich habe bis heute das Gefühl, dass obwohl es mega erfolgreich und einflussreich ist, obwohl es extrem vielfältig ist und obwohl es ganz wichtiges deutsches Liedgut ist, das wir Rapper produzieren - oder zumindest die meisten (lacht) - trotz alledem, wird es immer noch so ein bisschen belächelt und nicht ernst genommen. Z.B. ist es bis heute so, dass, wenn man in eine Radiostation oder auch ins Fernsehen kommt, dass dann immer noch einer diesen „Yo, Yo, Yo“ bringt. Mit keinem anderen Künstler, der Platin gegangen ist und seit 20 Jahren erfolgreich sein Ding macht, würde man das machen, da kommt man sich dann schon veräppelt vor.

X: Mit „Candyman“ hast Du einen experimentellen Country-Popsong auf dem Mixtape und auf dem Track singst Du nur. Wie sieht es denn bei Dir mit musikalischen Vorlieben abseits von Rap & HipHop aus?

KS: Ach, ich mach mich da extrem locker. Ich hab ja mit Madonna und sowas angefangen. „Like A Virgin“ war eine meiner ersten Platten. Dann kam Falcos „Der Kommissar“… ich hab sogar mal Modern Talking gehört. Ich war als Kind schon mega offen. Dann gab es schon so Zeiten, in denen man sagte ich hör jetzt nur noch dies oder jenes, was anderes interessiert mich nicht. Aber ich hab z.B. nie meine Liebe für 80ies-Mucke verloren. Heute bin ich wieder total offen und höre mir alles an. Wobei ich gar nicht extrem viel Musik höre, das passiert schon sehr ausgewählt. Aber mir ist dabei total egal woher das kommt und wer das ist. Ich kann Hipster-Mucke wie James Blake hören und das abfeiern, ich liebe Frank Ocean und gleichzeitig höre ich halt auch ein altes Nas-Album. Bei mir gehört das alles zusammen, ich sehe da keine Grenzen.
X: Und wie siehst Du Deine musikalische Zukunft, kannst Du Dir vorstellen irgendwann ein Album zu machen, das gar nicht mehr so viel mit HipHop zu tun hat?

KS: Ey, wenn ich besser singen könnte, würde ich das wahrscheinlich längst machen! (lacht) Ich mach ab und an schon so Songwriter-Sachen, schreibe den einen oder anderen Song. Manchmal wird das dann etwas abstrus, manchmal auch einfach Müll. Aber ich hab da viel Spaß daran, und sowas wie „Candyman“ würd ich schon nochmal gerne wiederholen.

X: Auf der kommenden Tour fehlen die ganz großen Metropolen wie Berlin, Hamburg, Köln und München. Falls das Absicht ist, warum denn?

KS: Das hat etwas mit dem Mixtape-Ding zu tun. Das haben wir ja auch schon viel, viel kleiner aufgezogen als die Alben und ich werde da auch viel weniger verkaufen als bei einem ausgefeilten Soloalbum. Es ging einfach darum… Back To The Roots klingt immer so doof, aber ich hab einfach ein wildes Viech gemacht und alles gechillt gehalten. Und so soll eben auch die Tour sein. Mal wieder in kleinere Läden, so wie vor… was weiß ich… 15 Jahren! Kleine Läden, kleines Team usw. Eine andere Form von Spaß, den ich mir einfach gönnen möchte.
X: In einer Fernsehsendung hast Du letztens gesagt, dass Du große Probleme mit Bakterien hast und Dir immer einen Kopf machst in Sachen Hygiene. Ist das denn nicht schwierig auf Tour, der direkte Kontakt mit den Leuten, das viele Händeschütteln usw.?

KS: Ja, das ist ganz schwierig für mich. Wobei ich meinen etwas absurden, psychopathischen Tick auch den Gegebenheiten anpasse. Auf Tour muss ich z.B. nach der Show ab und an in eine etwas abgeranzte Dusche. Das kann ich dann trotzdem. Ich kann mich anpassen; wie wenn man in einem Dritte Welt Land im Knast sitzt und es da nur Wasser und Brot gibt, dann passt das. Aber es gibt tatsächlich Dinge, bei denen es schwer wird. Ich kann z.B. jetzt nicht 50 Leuten hintereinander die Hand geben. So viele Leute waschen sich selbst nach dem Toilettengang nicht die Hände… ich muss mich da aber immer wieder locker machen; das ist auch immer so phasenweise, manchmal hab ich voll den Hygiene-Fimmel und dann kann ich auch mal wieder Fünfe grade sein lassen.

X: Stichwort Wasser und Brot: Du bist seit über 20 Jahren Vegetarier. Wie kamst Du dazu?

KS: (lacht) Ach, ich hab damals ein paar Mädels kennengelernt, die auf dem Gymnasium waren. Davor kannte ich in Kreuzberg an sich nur Gammler und war ja selber einer von denen. Die Mädels waren jedenfalls Vegetarierinnen und haben mir erzählt wieso, weshalb, warum usw. Und ich fand das auch ganz einleuchtend, dass es eben nicht so cool ist Tiere zu töten. Ich mache da aber auch keine absolute Religion daraus, man kann neben mir auch ganz locker ein Steak essen ohne dass ich anfange zu predigen. Und ich muss sagen, dass ich, wenn ich mit Freunden essen gehe, auch immer noch Hunger darauf kriege.
X: Echt? Ich dachte nach über 20 Jahren hättest Du die Phase hinter Dir?

KS: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es anders ist. Das ist immer noch eine Qual und ich muss mir immer wieder sagen, dass ich mich aus guten Gründen dagegen entschieden habe. Und es wird an sich sogar immer schlimmer. Nachdem ich heute etwas mehr Geld zur Verfügung habe als früher, gäbe es da ja ganz andere Möglichkeiten essen zu gehen. Meine Eltern haben damals Fleisch bei Aldi gekauft und haben es dann teilweise auch noch nicht so geil zubereitet. Da war es auch nicht schwer für mich nein zu sagen. Aber wenn man dann heute in so einem Sterne-Restaurant sitzt und die präsentieren einem da Leckereien, die super aussehen und riechen… ist schon hart manchmal.

X: Das gemeinsame Album „Gespaltene Persönlichkeit“ mit Xavier Naidoo unter dem Namen Xavas war vor vier Jahren ein großer Erfolg, hat aber auch kontroverse Diskussionen ausgelöst. War das eigentlich eine einmalige Geschichte, oder kommt da nochmal etwas?

KS: (zögert) Naja, ich darf da noch nicht zu viel dazu sagen und ich will das auch nicht über seinen Kopf hinweg entscheiden und darüber sprechen. Aber sagen wir es mal so: von der Laune her, ich hätte auf jeden Fall wieder Lust mit ihm zu arbeiten. Ich muss aber auch sagen, dass Xavier für mich, ganz unabhängig von seinem Erfolg, den man respektieren muss, so ein lieber und herzlicher Mensch ist, der es auch immer wieder schafft einen zu motivieren und für neue Sachen zu interessieren. Es macht einfach Spaß mit ihm Zeit zu verbringen! Ich habe bei den Aufnahmen auch richtig viel von ihm gelernt.
X: Ich finde es schade, dass er im Prinzip gar keine Interviews mehr gibt und so ein etwas schräger Eindruck von ihm entstanden ist. Mit ein paar ausführlichen Interviews könnte er das einfach wieder grade rücken… aber er hat sich wohl dagegen entschieden.

KS: Ich weiß es nicht. Ich kann das auch nicht für ihn beantworten. Vielleicht ist es einfach auch so, dass man, wenn man irgendwann so viel zu tun hat, die Entscheidung trifft, einfach nur noch die Musik für sich sprechen zu lassen. Ganz unabhängig davon, was die Leute dann selber daraus machen. Oft erledigen sich Dinge mit der Zeit auch einfach von selbst.
X: Umso cooler, dass Du Dir die Zeit für unser Gespräch genommen hast, obwohl Du selbst im Stress bist. Danke dafür, viel Spaß in Kitzbühl und weiterhin viel Erfolg!

KS: Danke Dir, mein Lieber!


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