Brechen in der ersten Reihe: Anna Depenbusch

Kurz vor Tourneeauftakt nimmt sich die Hamburger Sängerin Anna Depenbusch morgens tatsächlich die Zeit für ein entspanntes Telefonat mit dem XAVER. Ihr Name ist (noch) nicht der ganz breiten Masse bekannt; ihr zweites Album, das Anfang 2011 erschien, schaffte es aber tatsächlich in obere Regionen der deutschen Albumcharts. Zudem ist die Lady, die bereits seit ihrem zehnten Lebensjahr auf der Bühne steht, auch gerne mal undercover aktiv - so steuerte sie z.B. Weihnachten 2008 unter dem Pseudonym Ella Larsson mit „Lara’s Song“ die Musik für den Werbespot des magentafarbenen Telefonanbieters bei. Als Anastasica kooperierte sie 2003 mit einem Hamburger Chill Out Projekt und bei Orange Blue und auch bei Top Of The Pops war sie im Background zu hören. Zum folgenden, launigen Interview bitte noch einen ganz leichten Hamburger Zungenschlag dazudenken.

XAVER: Anna, für viele Künstler wäre ein Interview um diese Uhrzeit quasi mitten in der Nacht - ist das für Dich eine normale Zeit, bist Du Frühaufsteherin?

Anna Depenbusch: Ach, das kommt immer drauf an... Jetzt gerade bereite ich die Tour vor und da bin ich schon immer früh auf und kümmere mich um das Programm.
X: Dann bist Du also schon recht diszipliniert?

AD: Phasenweise würde ich sagen (lacht), bestimmt nicht immer.
X: Wenn man so liest, dass Du Deine Songs selbst komponierst, einspielst, textest und auch noch produzierst, hört sich das schon nach Disziplin an, finde ich.

AD: Ich glaube, es macht mir einfach Spaß. Ich finde das alles toll, Lieder schreiben und die dann aufnehmen. Das entwickelt sich so ganz von selbst und ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich mich da an den Arbeitsplatz zwingen muss. Es macht mir halt Spaß.
X: Im Januar kam Dein zweites Album „Die Mathematik der Anna Depenbusch“ in die Läden, und ich muss sagen, das hat mich erst mal etwas erschreckt, weil ich mit der Mathematik so ein bisschen auf Kriegsfuß stehe.

AD: (schmeißt sich weg) Ich auch!
X: O.k., dann ging’s bei dem Titel also eher darum Aufmerksamkeit zu erregen, bzw. die Leute zum Nachdenken zu bringen?

AD: Ja. Und es sollte dazu anregen, nicht nach vorne zu suchen im Leben. Weder in der Liebe, und auch nicht im Leben generell. Insofern handelt „Die Mathematik der Anna Depenbusch“ vom genauen Gegenteil, davon, dass man eben nicht alles in eine Formel packen kann und dass es immer wieder Überraschungen gibt, mit denen man nicht gerechnet hat.
X: Platz 25 in den Charts war dann wohl im Vorfeld auch eher nicht absehbar, oder?

AD: Nee, natürlich nicht. Hat mich aber sehr gefreut, super!
X: Das Album ist musikalisch erfreulich breit aufgestellt, aber auch vor allem mit den deutschen Texten richtig gut gelungen. Zuerst dachte ich, es wäre ein weiteres Werk, bei dem Frank Ramond seine Finger im Spiel hatte, aber Du hast alles selbst komponiert und getextet! Dieses natürliche Talent für Sprache ist ja nun nicht jedem gegeben.

AD: Das kam bei mir auch erst relativ spät. Ich hab’ erst so mit Anfang 20 angefangen auf Deutsch zu singen. Davor war das eher Englisch, ich komme ja auch so ein bisschen vom Jazz und die ganzen alten Jazzklassiker, die sind nun mal englisch. Erst später habe ich dann die deutsche Sprache für mich entdeckt und auch gemerkt, wie schön das ist, dass man so direkt das Publikum ansprechen kann. Das sind ganz andere Konzerte, die Leute sind ganz aufmerksam, aber dadurch, dass sie alles ganz genau verstehen, natürlich auch ein bisschen strenger und hören genau hin.
X: Und wie ist das bei Dir - ist erst die Musik oder erst der Text da?

AD: Das kommt immer zusammen. Und das ist eigentlich auch ein sehr, sehr schöner Moment. Ich sitze am Klavier und dann entsteht der Text zusammen mit der Melodie und den Akkorden. Das wirkt für mich immer sehr homogen, das Gefühl.
X: In „Monoton“ beschwerst Du Dich über einen Mann, der zu viel redet (Anna lacht schon wieder) - das ist etwas, was man ja normalerweise eher mit dem weiblichen Geschlecht verbindet. Würdest Du Dich selbst als typische Frau bezeichnen?

AD: (lacht immer noch) Ja, da gibt’s aber auch Gegenbeispiele. Und ich hoffe doch, dass ich eine typische Frau bin. Das heißt - Moment mal, was ist denn die typische Frau?
X: O.k. Ja, gute Frage! Nächste Frage!

X: „Wir sind Hollywood“ sticht etwas aus dem restlichen Material heraus, denn das klingt eher nach Dance und Clubmusik. Findet man das auch in Deinem Plattenschrank bzw. auf Deiner Festplatte?

AD: Also ich habe CDs. Und ich höre sehr breite Musik, aber weniger so richtige Club-/Dance-Sachen. Das Lied, das wir da aufgenommen haben, klingt zwar nach Elektro, ist aber ohne programmierte Beats ganz akustisch mit Kontrabass und Schlagzeug aufgenommen bzw. eingespielt.
X: Du wurdest 1977 in Hamburg geboren und lebst da auch bis heute. Einer der Songs auf Deinem letzten Album handelt aber von jemandem, den Du nach Berlin hast ziehen lassen müssen - oder ist das etwa eine rein fiktionale Geschichte?

AD: Nee, das ist eine Freundin, die nach Berlin ging. Man denkt immer, das ist eine Liebesgeschichte, aber es war eine Freundin. Schön war es, als ich jetzt auf Tour war und auch in Berlin gespielt hab’, da war sie dann im Konzert.
X: War das die Show im Vorprogramm von Zaz?

AD: Nein, das war unser Tourneekonzert. Das Konzert mit Zaz war eine Einzelshow im Vorprogramm.
X: Dann war das Ende August in Berlin bereits die zweite Show im Vorprogramm von Zaz. Geschah das auf Zazs Wunsch, seid Ihr befreundet?

AD: Wir kennen uns nicht persönlich, ich glaube es lag daran, dass es das letzte Mal ganz gut gepasst hat. Ich hab’ mich natürlich sehr gefreut, weil ich auch großer Fan bin und sie einfach eine tolle Künstlerin ist. Auch die ganze Band und das Team, das ist alles sehr, sehr schön.
X: Hast Du denn musikalisch und textlich Vorbilder?

AD: Nee, nicht so wirklich. Also es gibt natürlich Künstler, die ich sehr schätze, bei denen ich auch immer neugierig bin, wenn die was Neues veröffentlichen. Den Rufus Wainwright finde ich toll. Aber ich höre auch ganz alte Sachen, also beispielsweise so Originalchansons von Edith Piaf. Ich bin, glaube ich, sehr musikinteressiert und schaue immer, was mich berührt.
X: Dann kaufst Du auch viele CDs?

AD: Ja, klar!
X: Naja, als Künstlerin musst Du das eh sagen!

AD: Nee, im Ernst. Wobei ich ja Kollegen kenne, die gar nicht so viel Musik hören. Die sagen „Ach, ich mach’ Musik, ich muss gar nicht so viel hören!“, aber bei mir daheim läuft eigentlich den ganzen Tag Musik.
X: Ich meine, in einem Interview gehört zu haben, das Du das Album in einem einsamen Haus aufgenommen hast und dass das fast schon gruslig war da...

AD: Ich war schon da. Aber da ging’s nicht notwendigerweise um die Albumaufnahmen, sondern eher ums Klavierüben. Ich war in diesem Schloss, um Songs zu schreiben usw. Das war im Winter und war schon auch (imitiert einen pikiert-aristokratischen Tonfall) „eine interessante Erfahrung“.
X: O.k., und wie kamst Du zu diesem Schloss?

AD: Ich habe einen Rückzugsort mit Ruhe und Platz gesucht, um mich irgendwie auf das Klavier einzustellen. Und ich kannte dieses Schloss in Schleswig-Holstein, weil ich da mal ein Musikfestival gesehen habe. Dort habe ich dann angefragt, weil ich eben wusste, dass die im Winter eigentlich zu machen und da niemand ist. Das hat prompt geklappt und die haben mich im Winter reingelassen.
X: Fantastisch. Aber ich muss da spontan an Shining von Stanley Kubrick denken - kennst Du, oder?

AD: Ja, den hab’ ich gesehen. Und das war kein Vorteil, dass ich den kannte, als ich da hinkam.
X: Naja, solange Du keine imaginären Barkeeper und händchenhaltende Zwillinge im Gebäude getroffen hast...

X: Du spielst Klavier und andere Tasteninstrumente, zudem noch Gitarre und Du singst - was hat Deine Liebe für die Musik geweckt, haben Deine Eltern Dich in den Musikunterricht geschickt?

AD: Der erste Kontakt mit Musik und auch mit Popmusik und Singer/Songwriter-Sachen ging tatsächlich in der Schule los. Mein Bruder ist drei Jahre älter und ist auch Musiker geworden und bei dem lag es auch an der Schule. Das war enorm prägend und deswegen bin ich auch so froh, dass ich da tolle Lehrer hatte, die uns begeistert haben. Es sind auf unserer Schule auch viele tolle Bands entstanden. Ich denke mir da auch manchmal, wie schade das doch ist, wenn man Pech hat mit seinem Musiklehrer!
X: Und nachdem das Interesse also geweckt war, wolltest Du Klavierunterricht haben?

AD: Ach erst mal hab’ ich alles Mögliche gespielt, angefangen mit Flöte und dann auch mal Klavier. Ich habe dann aber recht schnell wieder damit aufgehört, weil mir das Instrument zu groß war und ich nicht damit warm geworden bin. Dann habe ich aber schnell das Singen angefangen und das als mein Haupt-Ding entdeckt. Das Klavier bin ich erst vor drei, vier Jahren wieder angegangen.
X: Ende September kommt „Die Mathematik der Anna Depenbusch - in schwarz-weiß“ in die Läden. Dafür hat Du Dein Debüt noch mal neu aufgenommen. Ohne Band, ohne Orchester, nur Du, Deine Stimme und ein Klavier. Wie kam es dazu?

AD: Bevor dieses große Album mit Orchester rausgekommen ist, hatte ich die Songs auch nur am Klavier gespielt und komponiert. Das hatte immer so eine gewisse Intimität und Nähe. Und durch den Wechsel zu meiner neuen Plattenfirma gab es dann ganz neue Möglichkeiten und ich konnte das Album so groß produzieren, was ich dann natürlich auch machen wollte. Der Wunsch nach dieser puren Klavier-Version war aber immer noch da, und ich war froh, dass meine Plattenfirma die Idee auch gut fand und das Album jetzt veröffentlicht wird. Die fanden das eben interessant, dass die Versionen auf den verschiedenen Alben doch teilweise sehr unterschiedlich sind.
X: Ich hätte ja gedacht, dass die eher neues Material wollten. Und die waren doch bestimmt auch total glücklich, dass der ohnehin schon lange Titel jetzt noch länger geworden ist - passt der dann überhaupt noch aufs Chartplakat?

AD: (lacht) Mal sehen! Ich arbeite aber auch schon wieder an ganz neuen Songs.
X: Und was hat Deine Band gesagt, als Du ihnen eröffnet hast, dass Du eine Zeit lang nicht auf sie zurückgreifen wirst?

AD: Die haben das bedauert. Und ich freue mich auch darauf, im nächsten Jahr wieder mit ihnen unterwegs zu sein. Für den Herbst und Winter ist das jetzt aber doch auch schön, diese ganz ruhigen, sehr besinnlichen Konzerte nur am Klavier zu geben.
X: Jetzt musst Du bei den Konzerten auch ganz alleine raus, keine Band kann Dich auffangen und alle Augen sind auf Dich gerichtet - das wolltest Du dann wohl auch; genießt es vielleicht sogar?

AD: Ich freue mich darauf, aber ich bin auch aufgeregt. Denn das ist schon neu für mich, einen Abend ganz alleine zu gestalten.
X: Bei mir entstehen bei den „schwarz-weiß“-Versionen der Songs auch ständig Assoziationen in Richtung Filmmusik - für welchen Film hättest Du gerne die Musik beigesteuert?

AD: Puuuuhhhh… Na, für irgend eine Liebesgeschichte natürlich! Ein bestimmter Film fällt mir nicht ein.
X: Hast Du Rituale vor dem Auftritt?

AD: Och ja, ich hab’ schon ein paar Rituale. Ich brauche einmal einen ruhigen Moment für mich alleine. Da stelle ich mir dann vor, wie ich gleich rausgehe und was ich den Leuten geben möchte. Ich konzentriere mich dann und versuche mich zu öffnen. Und zwar immer wieder neu, für diesen einzigartigen Abend. Man kann auch kein Konzert mit einem anderen vergleichen.
X: Du spielst also auf Tour nicht jeden Abend die gleichen Songs?

AD: Nicht unbedingt. Ich glaube, dass es eine Dramaturgie gibt, die sich richtig anfühlt. Auch was dazwischen passiert, auch die Geschichten, die ich erzähle oder wie schnell oder laut ich ein Stück spiele; das variiert ganz stark von Abend zu Abend.
X: Was war das Peinlichste, das Dir je passiert ist bei einer Show?

AD: (lacht) Es hat mal jemand auf die Bühne gekotzt!
X: Wie krass!

AD: Das war echt schlimm. Der Typ kam nach vorne in die erste Reihe und brüllte rum: „Anna heirate mich, heirate mich!“ - und dann hat er auf die Bühne gekotzt!
X: Auf Deiner Homepage ist mir das Fehlen eines Shops aufgefallen; wie kommt’s?

AD: Die Leute wissen doch, wo sie die Sachen kriegen können. Die Musik gibt’s im Laden oder im Internet…
X: Ja, aber Textilien, Kaffeetassen, Lanyards usw. - Du musst ja auch von etwas leben!

AD: (lacht) Ich gebe ja Konzerte! Aber ich weiß nicht, vielleicht kommt da noch was. Wir werden wohl ein Songbook mit Noten machen und das wäre eine Sache, die man auf der Homepage anbieten könnte - aber ich bin jetzt nicht so der Kugelschreiber-T-Shirt-Typ! Ich find’s schön, wenn es bei Musik dann auch um Musik geht.
X: Ein tolles Schlusswort!


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