Zukunftsfrauen-Moleküle im Gefängnis: Sophie Hunger

Die Sängerin Sophie Hunger war erst in diversen Bands aktiv, bevor sie 2006 ihr erstes Soloalbum veröffentlichte. Sie spielt Gitarre, Klavier und Bluesharp, ist Songwriterin und Filmkomponistin und hat sich auch schon verschiedentlich als Autorin betätigt. 1983 in der kleinen Schweiz geboren, klingt ihre Arbeit aber seit jeher nach der großen weiten Welt; sie singt in vielen Sprachen und erfindet sich dabei immer wieder gerne neu. Sie ist zudem eine smarte, humorvolle Gesprächspartnerin. Ihr neues Album „Molecules“ erschien Ende August, die dazugehörige, dreimonatige Tour beginnt Anfang September.

XAVER: Hallo Sophie, in der Bandinfo steht, dass du in Berlin wohnst – du bist aber gerade in Paris. Hast du da zu tun, oder bist du noch im Urlaub?

Sophie Hunger: Stimmt, ich bin gerade in Paris. Ich habe sozusagen drei Wohnsitze, hier in Paris, in Berlin und in Zürich habe ich auch noch eine Wohnung.
X: Und wenn du dann im Herbst wieder wochenlang auf Tour unterwegs bist, vermietest du die Wohnungen dann?

SH: (lacht) Nee, ja … nicht wirklich. Ich habe so Musikerfreunde, die auch so leben wie ich und da kann es sein, dass die dann mal ein paar Wochen in einer meiner Wohnungen leben; das machen wir dann aber eher privat.

X: Dein neues Album hast du im Herbst 2017 in London mit Dan Carey aufgenommen. Wie lange hast du vorher am Material gearbeitet und wie fertig waren die Songs, als es ins Studio ging?

SH: Ich hab ungefähr ein Jahr vorher angefangen zu schreiben. Und circa ein halbes Jahr vorher hatte ich dann mein Konzept mit den vier Elementen beisammen: Synthesizer/Computer, Drums, akustische Gitarre und Gesang; darauf wollte ich mich beschränken. Das war so eine Art Korsett, das ich mir gemacht habe. Nachdem ich das entschieden hatte, habe ich noch mal fünf, sechs Lieder geschrieben und die seitherigen entsprechend umgeschrieben.
X: Das Material war also schon komplett fertig, als du ins Studio gegangen bist. Hat sich Carey dann noch kreativ eingebracht?

SH: Nein, das Material war komplett fertig. Was er vor allem gemacht hat, war Soundprocessing. Wir haben wochenlang nur an Sounds gearbeitet und es ging nicht um so Sachen wie Arrangements. Es gab auch keine Performancearbeit, dass man also viel Zeit damit verbracht hat, den perfekten Take zu finden. Es ging darum, die Sounds durch verschiedene Amps zu jagen und noch mal zu bearbeiten.

X: Du hast vorhin das Korsett mit den vier Elementen beschrieben. Du forderst dich also immer wieder neu heraus, willst etwas Neues machen und nicht ein zweites Mal das gleiche Album aufnehmen?

SH: Ja. Und ich habe manchmal auch das Problem, dass ich schon so viel gemacht habe. Wenn man bös ist, nennt man das zerstreut, wenn man lieb ist, sagt man vielseitig. Und jetzt wollte ich eben mal ein Album machen, wo ich nicht in diese Falle tappe und mich selbst auch zwinge den einen Strang zu verfolgen. Deswegen auch nur eine Sprache dieses Mal. Fast wie ein Gefängnisraum um zu verhindern möglichst keine freien Entscheidungen zu treffen. (lacht) Das war der Trick, den ich angewendet habe, um alles etwas einzugrenzen.
X: Die Info zur CD behauptet auch, dass das dein erstes rein englischsprachiges Album wäre … stimmt aber nicht so ganz, oder? Ich meine, Französisch gehört zu haben und in der Berlin-Ode „Electropolis“ heißt es „In deinen Sünden Trost zu finden, Berlin du deutsches Zauberwort.“

SH: (lacht) Jaja, ich weiß; ich habe geschummelt! Und eigentlich habe ich das nur so in die Info schreiben lassen, um festzustellen, ob die Journalisten überhaupt das Album hören.
X: Puh, Test bestanden!

SH: Genau, 100 Punkte für dich!

X: Beim Song „I Opened a Bar“ klingt es so, als ob du Gläser und Flaschen aufgenommen hättest?

SH: Gläser sind das nicht – auch wenn’s gut zum Titel gepasst hätte – das ist Metall. Das Geräusch wurde dann aber mit ganz viel Hall durch diverse Effektgeräte geschickt. Ursprünglich war es aber ein Stück Holz, das auf ein Stück Metall geschlagen wird.

X: Du scheinst gerade auch etwas an der Welt zu verzweifeln. In der ersten Single „She Makes President“ geht es wohl darum, dass die Frauen bei der Wahl Donald Trumps das Zünglein an der Waage hätten sein können …

SH: Das war auf jeden Fall eine große Kränkung. Wir überschätzen die Gesellschaft einfach. Ich glaube, wir sind noch nicht so zivilisiert und entwickelt, wie wir manchmal hoffen. Da sind noch viele archaische Bedürfnisse und Ideen vorhanden, dass eben der große, alte und reiche Mann kommt und mal für Ordnung sorgt. Dass er eine Sau ist, ist dann auch egal, solange er nur mal durchgreift. Keine Ahnung … Das Lied sollte eigentlich eine Hommage an die moderne Frau sein, es ist aber eher eine Hommage an die Zukunftsfrau, die seither noch eine eher seltene Spezies ist.

X: Mit der Tour gehst du ganz neue Wege. Du spielst gleich mehrfach hintereinander in den gleichen Städten, wechselst aber jeweils in andere Clubs. Wie bist du darauf gekommen?

SH: Ich habe gedacht, ich mache das, was am sinnlosesten ist. (lacht) Also am allermeisten Aufwand verursacht und am allermeisten kostet. Ich hoffe, es wird trotzdem lustig, wir bleiben immer eine Woche, weil man ja sonst auch immer nichts von den Städten sieht. Und auch für die Leute ist das besser, sie haben dann auch keine Ausrede mehr: Wenn sie an einem Tag nicht können, kommen sie einfach am Tag davor oder danach!
X: Gab’s da nicht Entsetzen bei den Veranstaltern beziehungsweise deiner Booking-Agentur?

SH: Doch, auf jeden Fall, denen standen die Haare zu Berge. Aber die kennen mich ja schon ein bisschen länger und setzen darauf, dass das am Schluss dann doch irgendwie eine gute Idee ist.
X: Was hast du da denn allabendlich vor, spielst du dann auch jeweils andere Sets?

SH: Ich glaube schon ein bisschen, weil wir als neue Band jetzt auch zusammen ein großes Repertoire lernen müssen. Anfangs werden wir noch viele Songs üben und je länger die Tour dann geht, umso mehr Auswahl haben wir dann. Ich sehe das wie bei einer Fußballmannschaft. Die, die auf der Bank sitzen, müssen ja trotzdem mittrainieren, auch wenn sie beim Spiel vielleicht nicht zum Einsatz kommen.
X: Wo wir es gerade von verrückten Konzert-Konzepten hatten: Das wäre doch auch was, wenn man während des Konzerts einfach mal den Gitarristen auswechselt oder einen neuen Drummer ins Spiel bringt!?

SH: Das wäre so cool, das würde ich voll gerne mal machen. Und mir fällt gerade ein, dass Jack White mal etwas Ähnliches gemacht hat: Der hatte auf der Tour zwei komplette Bands dabei, eine Frauenbesetzung und eine mit Männern. Und keiner wusste vorher, wer heute auf die Bühne geht, er hat das immer erst kurz vor der Show entschieden. So weit bin ich leider noch nicht, dass ich mir das leisten kann – aber das kommt noch!

X: Noch mal zur Setlist: Du hast mal gesagt „Wenn Roger Federer ein Spiel gewinnt und ich habe am selben Tag ein Konzert, dann ist die Setlist anders, als wenn er verliert.“ Hast du immer noch diese Verbindung zu Federers Spiel?

SH: Nein, das hat nachgelassen. Ich habe mich etwas von ihm emanzipiert.

X: Du interessierst dich auch sehr für Kunst. Bei Facebook hast du vor einiger Zeit geschrieben, dass Roman Signer dein Lieblingskünstler ist. Verrätst du uns heute noch deine Lieblingskünstlerin?

SH: (überlegt lange) Ja, Abramović finde ich schon gut (Marina Abramović ist eine serbische Performance-Künstlerin, Anmerk. d. Verf.) und Maria Lassnig (österreichische Malerin und Medienkünstlerin, Anmerk. d. Verf.) ist auch megastark – aber ich habe jetzt bei der bildenden Kunst nicht so die eine Favoritin. Kunst ist aber definitiv ein großes Hobby von mir, wobei ich mich gerade auch sehr für Geschichte interessiere.

X: Stichwort Geschichte, da fällt mir „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ und Freundeskreis, beziehungsweise Max Herre ein. Mit dem hast du vor circa fünf Jahren für zwei Songs an seinem „MTV Unplugged“-Album mitgewirkt. Habt ihr euch in Berlin kennengelernt, oder wie kam es zu der Zusammenarbeit?

SH: Wir haben uns tatsächlich in Baden-Württemberg kennengelernt, und zwar bei einem gemeinsamen Konzert auf dem Marktplatz mitten in Tübingen. Bei meinem Konzert stand ein Mann mit Locken am Bühnenrand und der konnte echt alles auswendig und hat alles mitgesungen. Ich sehe gar nicht so gut und habe erst nach einer Zeit gecheckt, dass das Max Herre ist. Und ich habe seine Musik ja als Teenager schon immer gehört. Mein Bruder und ich haben stundenlang nur MTV oder VIVA geschaut, bis dann endlich ein Song von ihm kam. Nach der Show hat er mich dann angesprochen und ich war gerührt und verlegen, klar, ich war mittlerweile erwachsen, aber es ist immer noch nicht normal, ihn zu treffen.
X: Sehr ihr euch dann ab und zu, wenn du in Berlin bist?

SH: Ja, ab und zu. Aber die arbeiten megaviel und ich eben auch, wir schaffen es also vielleicht einmal im Jahr, gemeinsam zu essen.

X: Bei deinem neuen Album sind aber keine Gäste dabei – war das auch Teil des erwähnten Korsetts?

SH: Ach, ich mache das irgendwie nicht so gern mit den Gästen. Ich bin schon mal zu schüchtern, um Leute, die ich toll finde, überhaupt zu fragen. Und dann finde ich das meist auch nicht so zwingend gut – oder wie viele Zusammenarbeiten kennst du, die so richtig gut und nicht nur so Marketing-Moves sind?
X: Na ja, um beim Freundeskreis zu bleiben, „Mit dir“, das Duett mit Joy Denalane, fand ich schon sehr cool.

SH: Aber das ist ja auch die große Ausnahme, die haben später dann geheiratet!
X: Auf dem aktuellen „To the Bone“-Album von Steven Wilson bist du bei „Song of I“ zu hören. Warst du mit ihm im Studio, oder habt ihr nur Dateien hin- und hergeschickt?

SH: Nein, ich habe tatsächlich nur eine Datei geschickt. An sich war es sogar noch schlimmer. Ich habe erst in meinem Homestudio aufgenommen, bin dann aber extra noch in ein besseres Studio gegangen und habe mir extra Mühe gegeben. Ich habe dann beide Versionen geschickt und er hat sich für meine Homestudio-Version entschieden.
X: Aber ihr kennt euch und habt euch schon getroffen?

SH: Nein, ich habe ihn noch nie gesehen.
X: Dann hast du es gemacht, weil du seine Arbeit cool findest?

SH: Genau. Ich finde ihn super und bin auch von seiner Karriere beeindruckt. Der hat über dreißig Jahre Prog Rock gemacht und jetzt plötzlich so ein Romantico-Album. Und trotzdem funktioniert es und ist sogar in den Top 10 in England, das ist so krass gut. Der hat’s einfach allen gezeigt, ist nicht Mainstream und nicht im Radio, macht keine Videos und hat’s einfach mal allen gezeigt.
X: In einem Interview sagte er, dass er für den Track eine Stimme wollte, die sexy aber auch unheimlich klingt …

SH: Jaja, das ist eine sehr gute Beschreibung von mir! (lacht)
X: Echt? Ist doch aber schon ein bisschen seltsam, wer will denn gleichzeitig sexy und unheimlich sein? Sind das zwei Adjektive, mit denen du dich selbst beschreiben würdest?

SH: (lacht schallend) Nee, niemand würde sich selbst so beschreiben, Alter! Und natürlich bin ich auch ein bisschen unheimlich und auch ein bisschen das andere, das ich jetzt leider nicht aussprechen kann, weil ich ein bisschen prüde bin! (lacht)

X: Als Diplomatenkind bist du von Kindesbeinen an Ortswechsel gewöhnt. Bern, Zürich, Bonn, London, Berlin sind bekannte Stationen auf deinem Weg. Wenn man so viel unterwegs ist, hat man doch bestimmt auch ein besonderes Verhältnis zu Besitz?

SH: Ja. Man hat sogar vielleicht nicht so ein Verhältnis zu Besitz. Ich habe nicht so viele Sachen. Das Meiste, was ich besitze, sind Instrumente und andere Sachen für meine Arbeit. Mich stört es eher, Sachen zu haben. Ich denke dann immer, dass man das ja dann alles irgendwann einpacken muss oder wenn man stirbt, muss es jemand durchgehen und dann auch noch korrekt recyceln. Das ist alles voll kompliziert.
X: Aber Moment mal, du bist gerade mal 35 und machst dir ernsthaft Gedanken über deinen Tod?

SH: Na ja, nee, nicht wirklich. Aber ernsthaft: Wir haben alle viel zu viel Zeug!


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