Opern auf der Autobahn: Chris Rea

Christopher Anton Rea ist einer der wenigen Gitarristen weltweit, deren Spiel man sofort erkennt. Der Mann hat einen ganz eigenen Stil in Sachen Slide-Guitar kreiert und zudem in seiner über 30jährigen Karriere über 30 Millionen Alben (!) verkauft – und dabei ganz nebenbei diverse Hits geschrieben. Zur Jahrtausendwende wurde bei ihm Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert; er war in der Folge gezwungen, kürzer zu treten und spielte 2006 sogar eine Abschiedstour. Offensichtlich konnte er aber doch nicht ohne die Bühne und kehrte schon bald triumphal zurück. Im Februar ist er wieder auf großer Europatour und kommt dabei u.a. auch nach Stuttgart. Für ein Telefonat mit dem XAVER hat er sogar kurz den Proberaum verlassen. Im Interview ist er very british, zurückhaltend, mit verstecktem Humor und nicht gar so euphorisch bei der Sache – dafür brennt er auf der Bühne umso mehr!

XAVER: Herr Rea, heute ist Freitag, der 13. – sind Sie denn ein abergläubischer Mensch?

Chris Rea: Es sieht auf jeden Fall so aus, als wäre heute mal ein echt schlechter Tag, um Interviews mit deutschen Presseleuten zu machen…
X: Echt? Und sind Sie denn nun abergläubisch?

CR: Auf jeden Fall, ich passe heute besonders gut auf!
X: Auf der kommenden Tour spielen Sie auch wieder in Stuttgart, und zwar in der dortigen Porsche-Arena – was für ein Zufall, Sie als riesiger Auto- und Rennsport-Fan spielen in der Porsche-Arena!

CR: Ja genau, ich bin riesiger Porsche-Fan und finde das natürlich großartig!
X: Dann vermute ich mal, dass Sie nicht ganz zufällig am Folgetag nach der Stuttgart-Show einen freien Tag haben?

CR: Haha, DAS ist ein Geheimnis!
X: Meine Lippen sind versiegelt!

CR: OK, sagen wir es mal so, wir werden „spazieren gehen“!
X: Und ich hätte eher auf spazieren fahren getippt!

CR: (lacht) Das wäre natürlich auch schön.
X: Gibt’s denn auf dieser Tour abgesehen von Stuttgart weitere Orte, auf die Sie sich jetzt schon besonders freuen?

CR: Hmmm (überlegt), nein, um ehrlich zu sein, eigentlich nicht. Das wäre jetzt kompletter Blödsinn hier zu sagen, dass es da oder dort besonders toll wäre. In Deutschland ähneln sich die meisten Konzerte. Wir spielen jetzt seit über 25 Jahren Shows in Deutschland; das waren die ersten Leute, die zu Fans wurden, und die sind das bis heute.
X: Auf der Tour stehen aber ja auch Städte in Russland, Ungarn, der Ukraine usw. an, aber ich vermute mal, dass auch das kein Neuland für Sie ist.

CR: Doch, in Russland ist sogar ein Ort dabei, den wir zum ersten Mal bereisen. Aber auch da läuft es gut für uns.
X: Sie spielen also auch da in ähnlich großen Hallen bzw. vor ähnlich vielen Leuten?

CR: Naja, in Deutschland stehen schon die größten Shows an. Und wir sind wirklich dankbar, dass wir hier seit Jahren so viel Unterstützung erfahren.
X: Ich habe gelesen, dass Sie auf Tour gerne mal selbst mit dem Auto von Show zu Show fahren, anstatt mit dem Rest der Band und der Crew im Bus zu Reisen. Machen Sie das auch auf der nächsten Tour so?

CR: Ja, das mache ich eigentlich immer so. Ich schätze die Freiheit, die Unabhängigkeit…
X: Und die deutsche Autobahn, vermute ich mal!

CR: Ja, natürlich, das ist die letzte weltweit ohne Geschwindigkeitsbegrenzung.
X: Fahren Sie da immer mit anderen Autos und wenn ja, haben Sie sich schon ein bestimmtes Fahrzeug ausgesucht?

CR: Ich suche mir schon immer schnelle „Autobahnfahrzeuge“ aus. Dieses Jahr wird’s ein Volkswagen, ein Phaeton.
X: Die Tour läuft unter dem Namen „Santo Spirito“, also „Heiliger Geist“ – sind Sie denn ein besonders religiöser Mensch?

CR: Naja, das ist der Name meines letzten Albums.
X: Das weiß ich durchaus, aber hat das was mit Ihrem Glauben zu tun?

CR: Wir haben einen Film mit Chris Rea-Gitarrenmusik gemacht. Man bekommt mit der CD also zwei DVDs. Eine ist eine Dokumentation über Stierkampf und die andere ist über einen Mann, der auf der Suche nach Religion ist. Das ist also eine ganz andere Art Musik zu hören. Heutzutage hat ja jeder einen riesigen Fernseher daheim, vielleicht haben wir also in der Kombination aus Album und Filmen einen Weg gefunden, die Leute wieder dazu zu bringen, Alben zu kaufen. Sie bekommen also auch was fürs Auge, während sie sich die Musik anhören. Ist doch eine gute Idee, oder?
X: Ja, und es scheint sogar zu funktionieren, denn Sie haben ja wohl schon zwei, drei Stück verkauft!

CR: (lacht) Das stimmt, und dabei war meine Plattenfirma zunächst alles andere als begeistert, die sind nicht so erfreut über neuen Ideen.
X: Haben Sie auf Tour und bevor Sie auf die Bühne gehen bestimmte Rituale?

CR: Naja... (überlegt). Es gibt eine Menge medizinische Sachen, die ich beachten muss, weil ich seit meiner Krebserkrankung keine Bauchspeicheldrüse mehr habe. Da geht’s also mehr um gesundheitliche Aspekte als um abergläubische. Aber mal überlegen, üblicherweise habe ich noch eine letzte Zigarette geraucht, bevor ich rausgegangen bin, aber das fällt jetzt auch weg, weil ich aufgehört habe mit dem Rauchen.
X: O.k., dann also gar keine Rituale mehr dieser Tage.

CR: Nein, an sich nicht – ich versuche eben möglichst pünktlich zu den Konzerten zu erscheinen.
X: Ich konnte gar keine Infos zur Vorband auf der Tour finden, gibt es denn überhaupt eine?

CR: Nein, ich glaube, wir haben diesmal gar keine dabei. Aber wir spielen auch jeden Abend mindestens zwei Stunden. Wir haben die ganzen alten Sachen im Programm – „On The Beach“, „Josephine“, „Road To Hell“, „Let’s Dance“; die werden wir alle spielen.
X: Das war ja nicht immer so.

CR: Genau, eine Zeit lang hatte ich die Songs etwas über. Aber manchmal werden Sachen so alt, dass sie auf einmal wieder neu klingen! Wir haben auch eine Menge neuer Fans, die hauptsächlich wegen den Gitarrenparts und den Blues-Sachen kommen. Es bleibt also spannend und in Bewegung, wir verändern uns permanent.
X: Werden denn dann auch jeden Abend andere Songs gespielt?

CR: Genau, je nachdem, was uns gerade glücklich macht, wird munter an der Reihenfolge und Zusammensetzung gedreht.
X: Nachdem Sie so viele Alben verkauft haben und bereits 2006 Ihren Abschied von den Bühnen dieser Welt verkündet hatten und trotzdem wieder zurückgekehrt sind, was zieht Sie immer noch auf die Straße, um jeden Abend in einer anderen Stadt aufzutreten?

CR: An sich ist die moderne Medizin schuld! (lacht) Es sah eine ganze Zeit so aus, als ob ich mich wegen meiner gesundheitlichen Probleme von der Bühne verabschieden müsste. Aber der medizinisch-technologische Fortschritt macht es heute möglich Sachen zu machen, die vor zehn Jahren noch völlig undenkbar waren.
X: Auf Tour sind Sie die uneingeschränkt wichtigste Person und im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wenn Sie dann wieder nach Hause kommen, sind Sie ganz stark in der Unterzahl gegenüber Ihrer Frau und den zwei Töchtern – ist es schwer, sich wieder ans normale Leben daheim zu gewöhnen?

CR: Nein, das ist gar kein Problem, denn ich verhalte mich auf Tour nicht anders als zu Hause. Zudem sind viele der Jungs, mit denen ich unterwegs bin, schon seit 20 Jahren dabei.
X: Ach so, dann ist das quasi auch ein familiärer Umgang?

CR: Genau, das ist wie eine große Familie. Zu Beginn einer Tour lasse ich mich darauf ein, all das zu tun, was der Tourmanager mir sagt, weil der alles organisiert und im Blick hat. Der kann keinen Opernsänger brauchen, der ständig nur Ärger macht!
X: Wo wir gerade von Familie sprachen, haben Sie Ihre Kinder denn auch an die Musik herangeführt, spielen sie ein Instrument oder sind sie vielleicht sogar Musikerinnen?

CR: Ach, die sind schon beide recht musikalisch. Eine geht noch zur Uni und die andere ist Dozentin in Florenz.
X: Hätten Sie Ihre Kinder denn unterstützt, wenn Sie eine Karriere im Musikbereich angestrebt hätten?

CR: Ach, dazu sind sie gar nicht egoistisch genug, das wird also nie passieren. Josephine spielt sehr schön Klavier, aber sie hört immer auf zu spielen, wenn jemand dazu kommt.
X: Sie selbst haben zwei Brüder und vier Schwestern; wie haben denn Ihre Eltern reagiert, als Sie ihren Weg als Gitarrist eingeschlagen haben?

CR: Oh, die waren sehr unglücklich. Die haben so gar nicht verstanden, was ich da versucht habe. Manchmal denke ich – und zwar bis heute – dass es ihnen lieber gewesen wäre, wenn ich mir einen ordentlichen Job gesucht hätte.
X: Wie sind Sie denn dann zur Musik gekommen, lief bei Ihnen daheim viel Musik?

CR: Nein gar nicht und ich bin auch erst recht spät zur Musik gekommen, nämlich erst mit 21.
X: Haben Sie da noch zu Hause bei Ihren Eltern gelebt?

CR: Ja, zu der Zeit habe ich in der Café-Bar meines Vaters gearbeitet und das war mein Leben. Und dann habe ich einen Blues-Sänger gehört und das hat dann auf einen Schlag alles geändert.
X: Ihre Eltern waren Eisproduzenten und betrieben über 20 Café-Bars. Ich nehme mal an, dass Sie eine recht glückliche Kindheit und jede Menge Freunde hatten?

CR: Ja klar, alle kamen sie bei mir zu Besuch vorbei und haben ein Eis bekommen.
X: Mögen Sie denn heute noch Eis oder haben Sie sich da überfressen?

CR: Ach Quatsch, natürlich liebe ich Eis!
X: Vor ein paar Jahren, nachdem Sie den Krebs besiegt hatten, haben Sie beschlossen, Ihre Musik mehr in Richtung Ihrer großen Liebe, dem Blues, auszurichten. Ihre Plattenfirma weigerte sich aber, diese Songs zu veröffentlichen, so dass Sie prompt ein eigenes Label gegründet haben. Ich wusste gar nicht, dass ein Label so viel Mitsprache in kreativen Dingen hat!

CR: Doch, doch, die haben da eine Menge Macht, ganz besonders, wenn man als Künstler älter wird und man vermeintlich auf einen gewissen Stil festgelegt ist.
X: Da waren Sie dann wohl recht frustriert?

CR: Nein, jedenfalls nicht lange, denn ich habe mich ja dazu entschieden, das Material selbst zu veröffentlichen – und es wurde ein riesiger kommerzieller Erfolg!
X: Dann war also am Schluss eher Ihr Label frustriert, weil denen einiges an Geld durch die Lappen gegangen ist!

CR: Eben, denen war es total peinlich!
X: Sie haben Millionen Alben verkauft, haben in aller Herren Länder gespielt, sind für Ihren eigenen Slide-Gitarre-Stil weltberühmt, Sie können auf eine 30jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken – gibt’s trotzdem noch etwas, was Sie gerne noch erreichen würden?

CR: Ich wäre wirklich gerne Autorennen gefahren.
X: Sind Sie doch immer wieder.

CR: Ja, ich meine professioneller Rennwagenfahrer. Außerdem würde ich gerne so Trompete spielen können wie Miles Davis – aber der Zug ist wohl raus. Und das ist es an sich auch, obwohl: Ich hätte gern einen besseren Körper. Einen mit einer Bauchspeicheldrüse. Ich denke, das wäre das Allerbeste!
X: Zum Abschluss, was wäre Ihr Rat an einen jungen Künstler, der etwas im Musikbusiness erreichen möchte?

CR: Im heutigen Musikgeschäft?
X: Ja.

CR: Geh’ weiter zur Uni! Heutzutage ist es für junge Künstler sehr schwierig, eine wirklich lange Karriere in dem Bereich zu machen, weil die ganze Musikindustrie so kaputt ist.


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